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Tuesday, December 21, 2010

Barbarismen und was man dafür hält

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In der Diskussion um Fremdwörter im Deutschen denken viele zuerst an Anglizismen von «relaxen» bis «Bashing», von «downloaden» bis «upgraden». Vielen ist jedoch nicht bewusst, dass der Einfluss der romanischen Sprachen das Deutsche viel tiefgehender geprägt hat als es zunächst scheinen mag.
Vermeintlich « original deutsche » Ausdrücke muten plötzlich viel weniger außergewöhnlich an, wenn man sie unter diesem Blickwinkel betrachtet. Ein eigentlich offensichtliches, aber dennoch oft unbedachtes Beispiel ist «überleben» - ein Wort, dessen Konstruktion genau «survivre» (frz.), «sobrevivir» (span.), «sobreviver» (port.) und «survive» (engl.) entspricht. Interessant ist hierbei auch, dass nur im Englischen die ursprüngliche Struktur überhaupt nicht mehr klar wird, da «vive» kein Wort der heutigen englischen Sprache ist. Im Französischen, Spanischen und Portugiesischen wird jedoch, wie im Deutschen, « überleben » aus den Bestandteilen «über» und «leben» gebildet.
Ähnlich verhält es sich auch bei «abhängen » bzw. « dépendre » (frz. ; dé = ab, pendre = hängen), bei «durchlaufen» bzw. «parcourir» (frz.) oder gar bei «umsetzen» bzw. «transposer» (frz.).
Ein Blick aufs Lateinische verrät uns außerdem, dass selbst der Zufall diesem Phänomen nicht entkommt : « accidere » ist das Ergebnis von «ac» (=zu) plus «cadere» (fallen), und bedeutet also „zu-fallen“, woraus sich „accident“, bzw. „Zufall“, ableitet. Diese Wortstruktur ist im Deutschen sogar klarer erhalten als im Englischen und den heutigen romanischen Sprachen, wo «accident(e)» nicht mehr so eindeutig mit Verben des Fallens in Verbindung gebracht wird.

Ein besonders eigentümlicher Fall von «linguistischer europäischer Einheit» scheint mir folgendes zu sein : Im Portugiesischen und im Französischen hat das Wort «approprié», beziehungsweise «apropriado» eine doppelte Bedeutung. Es kann je nach Kontext und Verwendung sowohl «angemessen» als auch «einverleibt» heißen. Das mag deutsche Muttersprachler zunächst verwirren – sollte es aber nicht. Denn das Deutsche verhält sich ja genauso, wenn man „approprié“ nur etwas anders übersetzt: Der Unterschied zwischen «geeignet» und «angeeignet» ist schließlich nur minimal. Wie kommt aber die Sprache dazu, etwas, das man sich aneignet, in die Nähe dessen zu rücken, was man für geeignet hält? Hängt dies damit zusammen, dass man Unbekanntes oft zunächst einmal ablehnt? Diese Vermutung legen zumindest unsere Sprachen nahe. Ein weiteres Beispiel dafür: «étrange» / «étranger» (frz.), «strange» / «stranger» (engl.), « estranho » / « estrangeiro » (port.) und «Befremden, befremdlich» / «Fremder».

Interessant auch die ungerechte Behandlung von Links und Rechts : « Vom rechten Weg abkommen » / « Das ist Dein Recht » / « eine linke Art », « le droit chemin » / « C’est ton droit » / „être maladroit“(frz.), « o caminho direito » / « ter um direito » (port.). Im Englischen führt dies sogar zu der martialischen Formel : « It doesn’t matter who’s right. It only matters who’s left ».

Die Übertragung der Wortstrukturen funktioniert jedoch nicht immer. Für das englische « Mobile » oder « Cell Phone » konnte sich im Deutschen weder das « Tragbare » noch irgendein anderes deutsches Wort durchsetzen, und so musste das Schein-englische « Handy » her. Im Französischen konnte sich übrigens das « portable » durchaus behaupten. Problematisch wurde dies allerdings, seitdem mittlerweile nicht nur das tragbare Telefon, sondern auch der tragbare Computer (auf deutsch « Laptop » genannt) weit verbreitet ist. Manchmal ist deshalb nicht klar, ob jemand, der auf Französisch von « mon portable » redet, seinen tragbaren Computer oder sein tragbares Telefon meint.
Gewitzter als angesichts des Handys hat sich das Deutsche mit der « Assembly Line » zu helfen gewusst. Statt einer « Zusammensetzlinie » wurde das « Fließband » erschaffen. Und solche Schöpfungen sind heutzutage keineswegs unmöglich geworden. Denn erst vor Kurzem erfreute uns das Deutsche erneut, wie der zurecht gerühmte Kolumnist Max Goldt bereits sehr richtig anmerkte, mit der « Rohlingsspindel », also dem Ding, auf dem CD-Rohlinge aufgestapelt sind. Eine durchaus erquickende Neubelebung zweier verloren geglaubter Wörter, dank des technischen Fortschritts (wie auch Max Goldt bereits schon anmerkte). Denn wer hat seit dem 19. Jahrhundert schon jemanden als Rohling bezeichnet oder, außerhalb von „Dornröschen“, über Spindeln gefachsimpelt?

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