Von JJB
Zum Unwort des Jahres 2010 wurde das Adjektiv "alternativlos" gewählt. Die Jury "Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres" begründete dies wie folgt:
"Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem
Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch
keine Notwendigkeit der Diskusion und Argumentation gebe. Behauptungen
dieser Art sind 2010 zu oft aufgestellt worden, sie drohen, die
Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken."
Allerdings reicht dieses Phänomen noch deutlich weiter in die Vergangenheit hinein, wie beispielsweise der hier verlinkte Artikel aus dem Jahre 1967 belegen mag, den der Guardian vor einiger Zeit aus den Archiven neu veröffentlicht hat. Darin bezeichnet der damalige Vizepräsident der EG-Kommission Sicco Mansholt den Beitritt Großbritanniens als alternativos: weder habe Großbritannien eine Alternative zum Beitritt der EG, noch habe die EG eine andere Alternative als Großbritannien aufzunehmen (trotz des lange Zeit vehementen Widerspruchs Frankreichs).
Illustriert wird der wiederveröffentlichte Artikel von einem Bild Margaret Thatchers, die ihrerseits ja auch deshalb als "Eiserne Lady" galt, weil sie sich selten auf Kompromisse - oder eben: Alternativen - einlies. Das Bild zeigt sie jedoch im Jahre 1975, als sie noch Oppositionsführerin war und im britischen Referendum von 1975 für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) warb. Das Land war der EWG nach langen Verhandlungen 1973 beigetreten, stimmte jedoch bereits zwei Jahre später per Referendum über einen möglichen Austritt ab.
Quelle: Guardian / AP |
Die wechselhafte Geschichte der europäischen Beitritts- und Verbleibsverhandlungen des Vereinigten Königreichs (von Mansholt 1967, über Thatchers verschiedene Stationen der Europapolitik, bis hin zu David Camerons derzeit diskutiertem EU-Referendum) illustriert also, das bereits zu früheren Zeiten der Verweis auf vermeintliche "Alternativlosigkeit" irreführend war.
Und nicht erst seit 2010 - dem Jahr, in dem als "alternativlos" zum Unwort des Jahres wurde.
Allerdings gibt der Präsident der Jury "Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres", Horst Dieter Schlosser, in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur aus dem Jahre 2007 zu bedenken (anhand des Beispiels "Humankapital", Unwort des Jahres 2004), dass auch "ein alteingeführter Begriff" zum Unwort des Jahres werden könne, wenn der öffentliche Diskurs dies nahelege. Es müsse sich also nicht immer um ein neu geschaffenes oder an sich verwerfliches Wort handeln, sondern es könne auch um eine bestimmte Verwendung eines Wortes gehen.